Am Stadtrand von Wien, dort wo das Grünland beginnt, hat sich der Stadtbauer Andreas Gugumuck einen Traum realisiert. Er betreibt eine Schneckenfarm und beliefert die Top-Köche des Landes.
Es riecht verführerisch. Wir treffen Andreas Gugumuck in seiner Schneckenküche auf dem Bauernhof in Rothneusiedl. Da kochen in einem riesigen Topf rund 1000 Weichtiere in einer Mischung aus Wein, Thymian und Suppengrün. Drei Stunden kochen sie darin, genug Zeit also, um von Andreas Gugumuck mehr über seine Schneckenzucht zu erfahren. Obwohl er eigentlich keine Zeit für ein Interview hat, er ist im Stress: Das Schneckenfestival steht bevor, bis dahin muss er 24.000 Stück Schnecken fertig abgepackt produzieren, er hat gerade die Hälfte fertig.
Eiligen Schrittes marschieren wir von der Küche zu seiner Ackerfläche, auf der sich die vier Parzellen mit den Schneckengehegen befinden. Darin tummeln sich rund 100.000 Weinbergschnecken, die einem Lebendgewicht von rund drei Tonnen entsprechen. Behutsam sammelt Gugumuck jene auf, die es über das Gatter schaffen, und setzt sie zurück in den Kräutergarten, der nur so von Leckereien wimmelt. Da gibt es Mangold, Suppenkräuter oder Sonnenblumen, die lieben sie besonders, da bleiben nur mehr die Stängel über.
Im Jahr 2007 hat er diese Gehege mit viel Schweiß angelegt, sich mit der Erdfräse Zentimeter für Zentimeter in den Boden vorgearbeitet, mit der Schaufel die sechs Meter langen Wellbleche befestigt. Zum Schluss die Netze montiert und das Holz befestigt, das er mit einer selbst kreierten Fettpaste aus Speiseöl einschmiert. Die funktioniert jedoch nicht, der erste Regen wäscht sie runter, ein herber Rückschlag.
Jedes Wochenende investiert Gugumuck in den Bau der Gehege, unter der Woche ist er als IT-Manager tätig. Zeit für seine Familie bleibt nur wenig. Die Mischung aus Beharrlichkeit und Überzeugung treibt den Landwirt weiter an, bis endlich die Gehege fertig sind. Jetzt kann er wirklich starten: Er setzt sich in einen Klein-LKW, fährt Richtung Deutschland und kauft dort 20.000 Weinbergschnecken, in Schachteln transportiert er sie nach Rothneusiedl, wo sie kurzerhand ihre neuen Gehege beziehen.
Gugumuck will immer schon in der Landwirtschaft tätig sein, so wie seine Familie. „Was mit den Händen schaffen“, war sein Traum. Doch er weiß anfangs nicht was. Eines Tages fällt ihm das Schneckenkochbuch von Gerd W. Sievers in die Hände, die Schnecken faszinieren Gugumuck, lassen ihn nicht mehr los. Er beginnt im Internet zu recherchieren, besucht Schneckenfarmen in Deutschland, Italien und Frankreich. Eine Schneckenzucht soll es also werden mit dem Ziel der größte Schneckenlieferant in Österreich zu werden. „Zu Beginn braucht man eine Vision“, erzählt der Jungunternehmer. Schritt für Schritt setzt er sie auch um.
Der Name „Wiener Schnecke“ ist bald gefunden, das Firmenlogo hingegen kostet viel Zeit. Zig Varianten werden ausprobiert, unterschiedliche Schriften und Farben begutachtet. Mit Grün und Braun entscheidet er sich für die sichere Version; Schnecken sind eben braun und fressen vorwiegend Grünes. Nachdem das Logo steht, geht es an die Gestaltung der Website. Seine Ideen sprühen nur so, was sich in der Fülle der Texte niederschlägt. Viel zu viel will er unterbringen. So muss gekürzt werden, um eine Übersichtlichkeit der Homepage zu garantieren. Viele Nächte werden so zum Tag gemacht.
Wir sind wieder in Gugumucks Küche zurück, sitzen am Tisch, die Schnecken köcheln vor sich hin. Wenn sie fertig sind, werden sie zu jeweils 18 Stück in Gläser gefüllt oder zu je 60 Stück tiefgefroren. Gugumuck ist in der Zwischenzeit zur Tiefkühltruhe gegangen, um uns einen Sack mit Schnecken zu zeigen. Abnehmer sind Top Restaurants in Österreich. Die Köche hierzulande seien sehr kreativ, was die Zubereitung der Schnecken betrifft, weiß Gugumuck. „Nicht so wie in Frankreich, wo stets die Burgunderart auf den Tisch kommt.“ Schon wieder ist Gugumuck aufgestanden, kehrt mit einem Glas mit weißen kleinen Kügelchen zum Tisch zurück: Schneckenkaviar. Eine besondere Spezialität, mit der die gehobene Gastronomie ihre Kunden verwöhnt.
Die Gläser enthalten ein Nettogewicht von 30 Gramm. Das entspricht einer gesamten Jahresproduktion von vier Schnecken. „Nicht gerade viel“. Statt einmal im Jahr möchte Gugumuck ganzjährig Kaviar produzieren. Dafür benötigte er einen klimatisierten Raum, der Bedingungen wie im Mai schafft. Bei 20 Grad Celsius, 80 Prozent Luftfeuchtigkeit und 18stündiger Beleuchtung pro Tag sollten die Schnecken stets paarungsfähig sein. Die Kaviar-Produktion würde so um ein Vielfaches gesteigert werden. Für die Realisierung dieser Indoor-Zuchtstation strebt Gugumuck eine Zusammenarbeit mit der Veterinäruniversität an.
Um seine Ideen rund um die Schnecken zu verwirklichen, hat er längst seinen Broterwerbsjob an den Nagel gehängt. Die Zucht, die Verarbeitung und der Vertrieb verlangen ihm all seine zur Verfügung stehende Arbeitszeit ab und noch mehr: „Tagsüber arbeite ich am Feld und in der Küche, die halbe Nacht verbringe ich im Büro“, beschreibt Gugumuck seinen Alltag. Er darf dabei weder die Produktion noch den Vertrieb vernachlässigen. „Wenn ich nur produziere und mich nicht um Abnehmer kümmere, bleibe ich auf meinem Produkt sitzen.“
Gugumuck, der nicht lange ruhig sitzen bleiben kann, ist wieder einmal aufgestanden, um im Kochtopf umzurühren. Dabei erzählt der Landwirt, dass er zu Beginn Glück hatte. Die Starköche Christian Domschitz und Bernie Rieder fanden an der Wiener Schnecke Gefallen und brachten sie als Vorspeise in die Top-Küchen. Damit feierte das Weichtier ein Revival. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts war ja Wien eine Hochburg der Schneckenliebhaber. Es gab sogar einen eigenen Markt, der hinter der Peterskirche im 1. Bezirk lag. Dort wurde die Schnecke als Wiener Auster angeboten. Später fiel sie jedoch in Misskredit. Mag sein, dass ihr Äußeres viele Menschen vor dem Verzehr abgestoßen hat.
Die Zusammenarbeit mit Domschitz und Rieder hatte einige Vorteile: Es folgten weitere Top-Restaurants, die die Wiener Schnecke auf den Speiseplan brachten, auch die Presse war Gugumuck auf diese Weise sicher: „Ohne dass ich viel gemacht habe, wurde berichtet“, erzählt er nicht ganz ohne Stolz. Weitere Publicity erhofft er sich durch das von ihm kreierte Schneckenfestival oder seine Anwesenheit bei Erntedankfesten oder bei Genussregionen-Festivals. Als nächstes hat sich Gugumuck das gehobene Gasthaussegment vorgenommen, die Schnecke in Österreich als fix eingeführte Speise auf den Gasthaustisch zu bringen. Von der Wiener Auster also zur Wiener Schnecke. Vom sprichwörtlichen Schneckentempo ist auf Gugumucks Bauernhof nur wenig zu merken.
Von 19. bis 25. September 2011 findet in Österreich das Schneckenfestival statt,
weitere Informationen unter www.wienerschnecke.at
Fotos: Lukas Ilgner