Ruedi Baumann ist Landwirt, Agronom und Politiker. Als Präsident der Schweizer Grünen gestaltete er maßgeblich die Schweizer Landwirtschafts- politik in den 1990er Jahren mit. Vor zehn Jahren ist er nach Frankreich ausgewandert und betreibt dort eine Bio-Landwirt- schaft mit Ackerbau. Wie Ruedi Baumann die Zukunft der Landwirtschaft einschätzt und auch welche Hoffnungen er in sie setzt, hat er mir im folgenden Interview verraten.
Bist Du optimistisch, wenn Du in die Zukunft der Landwirtschaft blickst?
Ruedi Baumann: Die Bürgerinnen und Bürger, Konsumentinnen und Konsumenten werden mit ihrem Verhalten dafür sorgen, dass die Landwirtschaft naturnah, tier- und umweltgerecht bleibt oder wieder wird. Persönlich bin ich optimistisch und glaube, dass die gesunde Ernährung wichtiger wird und damit auch die Chancen der Biolandwirtschaft und der regionalen Produktion steigen.
Welchen Stellenwert wird die ökologische Landwirtschaft einnehmen?
Ruedi Baumann: Die Anreize für ökologische Produktionsformen dürften sich verstärken und die Umweltvorschriften werden verschärft, so dass die Landwirtschaft insgesamt ökologischer wird. Der Anteil Biolandbau in Europa dürfte über 20% liegen.
Österreich ist mit 18% Bio-Anbaufläche schon recht gut unterwegs. Schweiz liegt bei ca. 11%. Tatsache ist, dass 80% konventionell angebaut werden. Wie sollen 20% eine breitenwirksame Veränderung einleiten, wenn die Mehrheit nur auf den billigen Preis schaut?
Ruedi Baumann: Hut ab vor Österreich! Franz Fischler, der ehemalige EU-Landwirtschaftskommissär, hat eine vorbildliche Landwirtschaftspolitik betrieben!
Die Umstellung auf Biolandbau ist in einzelnen Bereichen, beispielsweise Viehwirtschaft in Berggebieten, vergleichsweise einfach, darum der hohe Anteil an biologischer Produktion. Im Sektor Ackerbau – Getreide oder Feldfrüchte – bietet der biologische Anbau viel mehr Schwierigkeiten. Darum muss z. B. das Getreideexportland Frankreich Biogetreide importieren und auch im „Bioland Schweiz“ werden nur 2% Biogetreide produziert.
Nach menschlichem Ermessen wird es nicht gelingen, nur noch biologische Landwirtschaft zu betreiben. Wichtig ist aber, dass die gesamte agrarische Produktion ökologischer wird!
Glaubst Du, dass die ökologische Landwirtschaft überhaupt die richtige Form ist?
Ruedi Baumann: Ja, selbstverständlich. Die landwirtschaftliche Produktion muss nachhaltiger werden, Luft- und Gewässerbelastungen müssen eingeschränkt, die Artenvielfalt verstärkt und der Biolandbau ausgedehnt werden. Wir haben nur einen Planeten!
Was hat es mit Nachhaltigkeit zu tun, wenn wir im Winter Bioprodukte aus Ägypten importieren? Oder wenn wir Glashäusern eine Menge von Energie zuführen müssen, damit sie funktionieren?
Ruedi Baumann: Es gibt Optimierungsbedarf. Stichworte sind saisongerechte Küche, kurze Transportwege, energiesparende Produktionsformen und Verarbeitungsverfahren, soziale Standards für Arbeitskräfte. Die Regeln des Biolandbaus werden entsprechend angepasst.
Haben die letzten Preissteigerungen – ausgelöst durch Spekulation und Biotreibstoffe – eine Hinwendung zu regionalen Produkten gebracht?
Ruedi Baumann: Kaum, eher im Gegenteil! Agrotreibstoffe können nur industriell produziert werden und werden um den halben Erdball gekarrt.
Das Bauernsterben ist traurige Realität. Wird es in Zukunft nur mehr einige wenige große landwirtschaftliche Betriebe geben?
Ruedi Baumann: Leider wird der Trend zu immer größeren Betrieben noch anhalten. Um dem entgegenzuwirken plädiere ich dafür, Direktzahlungen pro Einzelbetrieb zu plafonieren, Höchsttierbestände einzuführen, kleine und mittlere Zu- und Nebenerwerbsbetriebe zu fördern statt zu behindern.
Kann durch Direktzahlungen das Bauernsterben aufgehalten werden?
Ruedi Baumann: Nicht allein durch Direktzahlungen. Es braucht daneben gute Rahmenbedingungen im bäuerlichen Boden- und Erbrecht, vernünftige Produzentenpreise und ein positives Bild der Bäuerinnen und Bauern und ihrer Aktivitäten in der Öffentlichkeit.
Beinahe die Hälfte des Gesamtbudgets wird von der EU (Schweiz) für regionale Entwicklung/Landwirtschaft ausgegeben. Ist das noch weiter leistbar?
Ruedi Baumann: Der entsprechende Budgetposten in der Schweiz ist weniger als zehn Prozent, auch wenn im Durchschnitt pro Landwirtschaftsbetrieb 50.000 sfr. Direktzahlungen ausgerichtet werden. Die Ausgaben der EU werden tendenziell eher abnehmen, aber das ist eine politische Frage: Sollen gemeinwirtschaftliche Leistungen wie Landschaftspflege über den Konsum (Produktepreise) oder den Steuerzahler abgegolten werden?
So oder so werden Bäuerinnen und Bauern innovativ und leistungsfähig sein müssen um zu überleben. Manchmal könnte auch etwas mehr Solidarität unter den Bauern nicht schaden!
Leistungsfähigkeit hat mit Ertragssteigerung zu tun. Da spielt die Gentechnik eine große Rolle. Besteht die Gefahr, dass die Gentechnik in 20 Jahren alles dominieren wird?
Ruedi Baumann: Ich glaube nicht, dass die Gentechnologie eine große Zukunft hat (siehe Atomenergie!). Pflanzen werden vor allem gentechnologisch resistent gemacht gegen ganz bestimmte Herbizide, um deren Umsatz zu sichern.
Befürworter der Gentechnik argumentieren dahin gehend, dass die neun Milliarden Menschen der Zukunft nicht anders zu ernähren seien.
Ruedi Baumann: Der Hunger auf der Welt lässt sich nicht mit Gentechnologie besiegen, ganz im Gegenteil. Es braucht angepasste vernünftige Technologien für die Kleinbauern, damit diese auch Kaufkraft erarbeiten können. Es wird möglich sein, auch neun Milliarden Menschen ohne Gentechnologie zu ernähren, wenn man in Betracht zieht, dass heute noch sehr viele Lebensmittel verschwendet werden oder wegen mangelnden Lagerkapazitäten kaputt gehen.
Tatsache ist, dass bereits 50% der deutschen Landwirte neues Saatgut kaufen, weil sie glauben, höhere Erträge damit zu erzielen. Auch wenn GVO nur ein Mittel ist, um Herbizid-Umsätze zu steigern – wie weit oder wie kurz ist der Weg für die 50% der Bauern gentechnisch verändertes Saatgut einzukaufen?
Ruedi Baumann: Die Saatgutproduktion wird glücklicherweise vielerorts noch durch landwirtschaftliche Genossenschaften betrieben. Beim Mais oder bei den Zuckerrüben kommt beispielsweise fast ausschließlich Hybridsaatgut (das ist nicht gentechnisch verändert, sondern eine normale Züchtung) zur Anwendung, das in der Regel von spezialisierten Saatzüchtern produziert wird. Solange die Konsumenten großmehrheitlich gentechnisch veränderte Nahrungsmittel ablehnen, werden die Bauern nicht auf GVO-Produkte umstellen. Zudem ist gentechnisch verändertes Saatgut sehr teuer.
Neben der Gentechnik erhitzt künstlich produziertes Fleisch aus dem Labor die Gemüter. Eine Alternative für die Zukunft?
Ruedi Baumann: Ich denke, dass in der westlichen Welt der Fleischkonsum nicht zuletzt aus ethischen Gründen eher rückläufig sein wird. Fleischersatz aus dem Labor – warum nicht, wenn dadurch Massentierhaltung verhindert werden kann.
Die Massentierhaltung muss einem immer größer werdenden Druck der Medien und kritischer Konsumenten standhalten. Wird es sie in 20 Jahren überhaupt noch geben?
Ruedi Baumann: Ich hoffe darauf, dass Massentierhaltung dank immer strenger werdenden Tierhaltungsvorschriften mehr und mehr eingeschränkt wird. Tiere wollen die Sonne sehen!
„Echtes Fleisch“ oder „Tomaten aus der Erde“, also natürliche Lebensmittel werden in Zukunft zu Luxusprodukten mit entsprechend hohem Preis?
Ruedi Baumann: Produkte aus der Region („terroir“, „von der Region für die Region“, usw.) werden wieder wichtiger werden. Wenn künftig Transport- und Energiekosten korrekt in die Lebensmittelpreise eingerechnet werden, dann sind Produkte aus der Region konkurrenzfähig. Wahrscheinlich wird es ein Nebeneinander geben von Slow- und Fastfood.
Wie wird Dein Beruf als Bauer in 20 Jahren aussehen?
Ruedi Baumann: Hoffentlich wird es immer noch ein faszinierender, vielseitiger Beruf sein mit viel Selbstbestimmung, eine Tätigkeit in der freien Natur mit Pflanzen und Tieren mit dem Ziel, gesunde Nahrungsmittel zu erzeugen und eine artenreiche Kulturlandschaft zu erhalten und zu gestalten.
Ich danke für das Gespräch.
Mehr über das Leben von Ruedi Baumann ist in seinem Buch „Bauernland. Mein Leben“ nachzulesen, Nagel & Kimche Verlag, 2006, ISBN 3-312-00376-8
Seit 2006 führt Ruedi Baumann den lesenswerten Auswandererblog
über_Land
Der Blog über_Land beschäftigt sich mit innovativer Landwirtschaft in der Stadt und auf dem Land. Themen wie Urban Farming, Vertical Farming, Aquaponic stehen genauso im Vordergrund. Der Blog geht aber auch der Frage nach, wie Gemeinden für ihre Bewohnerinnen und Bewohner neue, qualitätsvolle Konzepte entwickeln, wo Wohnen, Leben und Arbeiten möglich wird. Der Blog ist seit 2011 online. Gründerin und Herausgeberin ist Barbara Kanzian. Erfahren Sie mehr über sie auf ihrer Unternehmens-Website.