Martin Reich beschäftigt sich in seinem Buch „Revolution aus dem Mikrokosmos: Nachhaltige Ernährung durch Fermentation“ mit einer möglichen Ernährungswende durch Mikroorganismen. Dabei bezieht sich der Autor nicht auf die gängigen fermentierten Speisen wie Sauerkraut, Kefir, Kimchi und Miso, sondern Produkte, die als Fleischersatz dienen, wie zum Beispiel veganes Schnitzel und andere verarbeitete pflanzliche Alternativen zu Fleisch- und Milchprodukten. Ein Beitrag von Katharina Hoff-Powell.
Vegane Wurst und veganer Käse
Fermentation ist schon viele hundert Jahre alt. Heute werden neue Methoden der Verarbeitung erfunden, um die Textur und den Geschmack von Fleisch und Käse zu imitieren. Martin Reich beschreibt, dass die Fermentation einer pflanzlichen Basis zu einem „herzhafteren“ Geschmackserlebnis von veganen Produkten führt und genau das sei es, was Konsument_innen wollen: Vegane Burger, die nach Fleisch schmecken. Veganer Camembert, der wie der echte aus Milch schmeckt.
Neue Fermentation
Was anfangs einfach und reizvoll erscheint, wird bald komplex und hoch technisiert. Bioreaktoren sollen Bauernhöfe ersetzen, die Landnutzung der Zukunft soll durch präzisere Pflanzenzüchtung und gezielten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln durch Roboter und Drohnen Ackerbau auf kleinster Fläche möglich machen. Biologische Landwirtschaft sieht der Autor nicht als Mittel der Wahl und räumt ein, dass die neue Art der Fermentation nur in Bioreaktoren betrieben werden kann, wodurch das Höfesterben vorangetrieben wird.
Für die Landwirte fällt die Wertschöpfung weg, da die Verarbeitung ihrer Produkte nicht mehr am Hof, sondern in Reaktoren stattfindet. Die landwirtschaftlich genutzten Flächen verkleinern sich, da durch den verminderten Fleischkonsum weniger Nutztiere gehalten werden. Was passiert mit der freiwerdenden Fläche? Der Autor spricht sich dafür aus diese zu renaturieren, was die von ihm interviewten Expert_innen kritisch sehen.
Schnelles Wachstum und Nachhaltigkeit
Martin Reich vergleicht die Start-Up-Szene der neuen Fermentation mit der des Silicon Valley. Der Bereich der Bioreaktoren verzeichne ein schnelles Wachstum, doch ob sich dieser Trend langfristig durchsetze, bleibe offen, so der Autor. Die immer wieder im Buch postulierte Nachhaltigkeit verarbeiteter pflanzlicher Produkte rückt spätestens dann in ein anderes Licht, wenn die Frage nach der Energie für die Bioreaktoren gestellt wird. Woher soll der Strom kommen? Die befragten Expert_innen im Buch bezweifeln, dass sich der massive Anstieg des Stromverbrauchs durch erneuerbare Quellen abdecken ließe. Stattdessen werden fossile Brennstoffe und Kernkraft genannt.
Fazit
Obwohl die Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks das erklärte Ziel des Buches ist, hat man als Leser_in nach 310 Seiten den Eindruck, dass die im Buch beschriebene neue Fermentation nichts mit Nachhaltigkeit, sondern vielmehr mit Profitmaximierung zu tun hat. Es geht um Absatz und Gewinn, was weniger für Konsument_innen als für Produzent_innen interessant sein dürfte. Nachhaltige Ernährung ist glücklicherweise auch im kleinen Maßstab und ohne Bioreaktoren möglich.
Martin Reich
Revolution aus dem Mikrokosmos
Residenz Verlag
ISBN: 9783701736126