Nachhaltigkeit ist nicht genug, es darf noch ein bisserl mehr sein. Martin Grassberger beschreibt sehr umfassend, wie regeneratives Denken uns in ein neues ökologisches Zeitalter begleiten kann. Ein Beitrag von Katharina Hoff-Powell.
In seinem dritten Werk geht Martin Grassberger, wie der Titel verspricht, angesichts des voranschreitenden Klimawandels und anderer Krisen auf regenerative Praktiken in der Wirtschaft, Landschaftsplanung, Architektur, des Gesundheitssystems und des Gemeinwohls ein.
Wie in seinem ersten Buch „Das leise Sterben“, in dem der Autor den Zusammenhang zwischen dem Schwinden der Artenvielfalt, dem Bauernsterben und dem erkrankten Mikrobiom des Bodens und des Darms beschrieb, geht Grassberger auch hier sehr anschaulich den Zusammenhängen auf die Spur. Wie können wir uns und den Planeten in Zeiten des Klimawandels regenerieren? Natürlich gibt es hier keine kurze Antwort, umso interessanter sind die Verflechtungen zwischen scheinbar nicht miteinander verknüpften Lebensbereichen.
Globale Krisen und unsere zwei Gehirnhälften
Die linke Hälfte unseres Gehirns ist für das analytische Denken verantwortlich und auch für Wissenschaft und Fakten. Doch Faktenwissen alleine, so Grassberger, wird globale Probleme nicht lösen können. Er plädiert für die Förderung rechtshemisphärischer Eigenschaften wie Kreativität und Improvisation durch Kunst, Musik und Meditation, um beide Gehirnhälften in Balance zu bringen und so die Komplexität der Welt besser erlebbar zu machen. Denn nur durch eine ganzheitliche Sicht lassen sich Möglichkeiten für eine gute Zukunft erahnen.
Urban Gardening und das Mikrobiom
Ein Beispiel für komplexe Zusammenhänge ist die „Microbiome-Rewilding-Hypothese“. Sie besagt, dass die Begrünung urbaner Flächen, sowie die Flächenentsiegelung gleich mehrere Vorteile mit sich bringen: Sie senken nicht nur die Umgebungstemperatur, sondern fördern auch die mikrobielle Diversität und steigern folglich die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bewohner. Wer hätte gedacht, dass Dachbegrünungen und Urban Gardening das Potenzial haben, die öffentliche Gesundheit zu fördern?
Nachhaltigkeit ist nicht genug
Wenn wir eine gute Zukunft für unsere Nachkommen und uns selbst kreieren möchten, dann reicht es nicht, den Ist-Zustand zu erhalten, indem wir der Natur „keinen weiteren Schaden“ zufügen. Vielmehr muss ein Wiederaufbau, also eine Regeneration, von erschöpften Ressourcen – von Rohstoffen, Menschen und Ökosystemen – erfolgen. Gleichzeitig soll regeneratives Denken nicht nur einzelne Probleme lösen, sondern die Vitalität von ganzen Systemen, Gemeinschaften und der Umwelt wiederherstellen, es erfordert also ein ganzheitliches Verständnis von komplexen Systemen.
Grob gesprochen plädiert Grassberger für eine Orientierung am Vorbild der Natur und stellt seinen Leser_innen mit seinem Buch einen, wie er selbst es nennt, „Kompass samt Werkzeugkoffer“ zur Verfügung. Wie bei Grassberger üblich, ist es ein gelungener Leseschmaus, der nicht nur zum Denken, sondern auch zum Handeln anregt.
Martin Grassberger
Regenerativ: Aufbruch in ein neues ökologisches Zeitalter
Residenz Verlag, 2024
Foto (oben): ©Aleksandra Pawloff