Die letzten Tage hielt uns die Pferdefleisch-Diskussion in Schach. Natürlich ist es Betrug, wenn auf der Packung Rindfleisch steht und es findet sich stattdessen Pferdefleisch darin. Ist es daher gerechtfertigt von einem „Pferde-fleischskandal“ zu sprechen? Oder geht es nicht eher um eine Frage der Transparenz und Glaubwürdigkeit? Darf sich der Konsument um einen Preis von 1,79 Euro die Packung für das Fertigteilgericht überhaupt absolute Sicherheit erwarten, fragt Koch und Blogger Christian Mittermeier in seinem Kommentar „Geiz isst Gaul“ in der Zeit-Online.
Weiters sieht Mittermeier die Vorbehalte in der Tatsache begründet, dass kaum ein Verbraucher, „der eine Putenbrust kauft, dabei noch das lebende Tier vor seinem geistigen Auge hat“. Beim Pferd jedoch bekäme das Fleisch plötzlich ein Gesicht und es wird klar, dass es von einer lebenden Kreatur stammt.
Weniger Berührungsängste scheinen die Wiener zu haben: „Pferdefleisch gehört zu Wien wie die Sachertorte“, titelte „das Format“ ein Interview mit der Pferdemetzgerin Margarete Gumprecht. Galt das Pferdefleisch nach dem Zweiten Weltkrieg als Arme-Leute-Essen, gewinnt es heute wieder an Bedeutung. Es sei fettarm, wird für Diabetiker mehr und mehr zu einer echten Alternative und es kommt nicht aus Massentierhaltung. „Nein, die Österreicher können die Engländer in Sachen Abneigung von Pferdefleisch nicht verstehen,“ so Gumprecht.
Großes wirtschaftliches Interesse
Doch warum haben die Briten solch eine Ablehnung dieses Fleisch zu essen? Der Schweizer Tagesanzeiger zitiert die Autoren der Studie „Bedeutung des Pferdes in der Wirtschaft, Gesellschaft und Umweltpolitik“ mit dem Resümee: In Großbritannien und Irland seien die Pferderennen ein gewaltiger Wirtschaftsmotor. Allein die irische Regierung sponsere diesen mit 23 Millionen Euro jährlich, weil ein Umsatz von 1 Milliarde Euro und 25.000 Arbeitsstellen geschaffen werde. Die Pferde spielen für das Wohl der Gesellschaft, die Gleichstellung der Geschlechter (mehr als die Hälfte der Reitsportler ist weiblich) und den Arbeitsmarkt eine große Rolle. Deswegen tun sich die Iren und Briten schwer mit dem Verzehr.
Ganz anders jedoch Italien – hier liegt der Pferdefleischkonsum gemäß Wikipedia mit 900g/Jahr europaweit am höchsten und Italien ist auch der größte Importeur von Pferdefleisch. Ganze 23.321 Tonnen bezieht Bella Italia aus gesamt Europa. Nur zum Vergleich: Aus innereuropäischen Handelsströmen gelangen 1.441 Tonnen in Deutschland, 629 Tonnen in der Schweiz und 362 Tonnen in Österreich.
Und hätten Sie gewußt, wer der größte europäische Exporteur an Pferdefleisch ist? Nein, nicht Großbritannien oder Irland – Belgien ist’s; ganze 22 Mio. kg versenden die Belgier kreuz und quer durch Europa und damit doppelt soviel als Polen (10,7 Mio kg) und die in letzter Zeit in die Schlagzeilen gekommenen Rumänen (5,5 Mio kg). Sehr gut nachzuvollziehen auf einer übersichtlichen, interaktiven Karte des Guardian.
Regionale Pferdespezialität statt Export
Von einem „Pferdefleischskandal“ wollen auch die Kärntner Bauern nicht sprechen. Statt die ausgesonderten jungen Noriker und Haflinger, die für die Zucht aufgrund der strengen Auflagen nicht geeignet sind, nach Italien zu versenden, haben sich einige Bauern zusammengetan und schlachten die Pferde selbst. Deswegen kann man im südlichsten Bundesland von Österreich Spitzenprodukte aus Pferdefleisch wie Spezialsalami mit Nüssen oder getrocknetes Bündnerfleisch genießen. Dass wieder mehr Kunden zu regionalen, bäuerlichen Produkten greifen, darauf hofft auch der Sprecher der Direktvermarkter, Wilhelm Pobatnig, im ORF-Online.
Wie nach jedem Lebensmittel-Skandal geht es wieder darum, zum Konsumenten Vertrauen aufzubauen. Auch auf eine Packung, die 1,79 Euro kostet, muss sich der Konsument verlassen können. Es darf nicht sein, dass nur Höherpreisiges einen Anspruch auf Transparenz hat. Aber ob 1,79 Euro den Wert einer mit Fleisch zubereiteten Speise jemals gerecht werden kann, diese Frage muss jeder Konsument beim Einkauf für sich entscheiden. Egal ob Pferde-, Rind- oder Schweinefleisch drin ist.
Abbildung (1): Frühstücksbrettchen von Gildehandwerk
Abbildung (2): Grafik der Pferdefleischexporte innerhalb Europas, von Guardian