Dass es den Städter aufs Land zieht, ist in Zeiten wie diesen ein beliebtes Thema. Ihm ist es in der Stadt zu stressig, er sucht Entschleunigung. Langsamer treten, mit der Natur eins werden, Tiere beobachten und sich selbst vielleicht im Anbau regionaler Lebensmittel üben. Letzteres ist sicher ein probates Mittel, um dem Lebensmittel als solches wieder mehr Wertschätzung entgegen zu bringen. Auch das Wissen darum, wie sie wachsen, was sie für ihr Fortkommen benötigen, eröffnet neue Blickwinkel. Nicht nur Erwachsene sind dafür begeisterungsfähig. Auch für Kinder und Jugendliche aus der Stadt ist der Aufenthalt am Land meistens eine Bereicherung. Neben den Pflanzen und Tieren, die es zu entdecken gibt, birgt das Landleben und die Tätigkeiten einer Landwirtschaft spannende Facetten.
Jugendliche aus der Schweiz können dieses Leben in Form eines Landdienstes kennenlernen. Benedikt Pestalozzi war 20 Jahre alt,
als er vom Schweizer Landdienst zu einem Imker in die Romandie nahe Genf vermittelt wurde. Dort half er bei Bienenpflege und Ackerarbeiten mit. Vier Wochen lang hieß es für ihn früh aufstehen: Noch vor Sonnenaufgang wurden die rund 15 Bienenstöcke kontrolliert, „wir schlossen unsere Schutzanzüge, zündeten die Kräuter in den Rauchpuffern an und hoben vorsichtig die Deckel zu den Bienenkisten, um den Honigstand und die Gesundheit der Bienen zu begutachten. Nervös schwirrten die Bienen um unsere Köpfe, aber wir brauchten keine Angst zu haben: Es waren nur wir, die Bienen, der frische Morgen und der Duft des Kräuterqualms“, erinnert sich Benedikt an diese einzigartigen Momente. Es gab auch schmerzhafte: Bei der allerletzten Ausfahrt hatte er den Schutzanzug nicht richtig geschlossen und „plötzlich fühlte ich Bienen auf meinem Nacken herumkriechen“. Mit drei Stichen kam er davon, der Schreck war das Schlimmste. „Danach war ich fast ein bisschen stolz, einige Stiche abgekriegt zu haben.“ Das mache eben einen richtigen Imker aus.
Die Familie, bei der Benedikt Pestalozzi seinen Landdienst verbrachte, war sehr nett. Mit dem damals 14jährigen Sohn unternahm er gemeinsame Velo(Fahrrad)touren. Zu einem Teil der Familie wurde Benedikt aber nicht, dafür war sein damaliges Französisch unzureichend. Gleichzeitig war er eine günstige Arbeitskraft, die bei freier Kost und Logis kräftig zupackte.
Benedikts Landdienst prägte ihn in seiner Einstellung. Ab und zu versucht er sich in seiner Heimatstadt Zürich als Guerilla Gardener, er kennt die Bienenhäuser in und um Zürich und hat selbst Kräuter auf seinem Balkon gepflanzt. Irgendwann einmal möchte er seine eigenen Bienen haben. „Der Imker passt zu mir“.
Würde er anderen jungen Menschen empfehlen, einen Landdienst zu machen? „Unbedingt!“, so Benedikt. Der Beruf des Bauern habe zwar nichts Romantisches an sich, aber er ist verdammt wichtig und deckt unsere Grundbedürfnisse, er ist verantwortlich für unsere Lebensmittel. Das Wissen darum, wie die Menschen leben, die unsere Kühlschränke füllen, sollte zu einer Grundausbildung gehören.
Landdienst erinnert als Wort sehr an den Arbeitsdienst. Das ist auch kein Zufall. In den 1930er Jahren gab es in der Schweiz durch die Wirtschaftskrise bedingt eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Für sie bot man einen freiwilligen Arbeitsdienst an. Schon bald entwickelt sich daraus ein Dienst, der die Pflege der Beziehungen von Stadt und Land intensivierte. Heute ist es die Organisation Agriviva die Landdienst-Einsätze vermittelt und organisiert. Schweizer Jugendliche können übrigens auch einen Landdienst im deutschen Bundesland Baden Württemberg absolvieren. Im Gegensatz zu Benedikts Zeit gibt es heute für die Jugendlichen auch ein Taschengeld von 12 Franken aufwärts.
Geld war für Benedikt nie der Grund um einen Landdienst zu machen, die Liebe zu den Bienen manifestierte sich bei ihm.
„Wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben. Keine Bienen mehr, keine Bestäubung mehr, keine Pflanzen mehr, keine Tiere mehr, kein Mensch mehr.“ Albert Einstein
Photo: www.agriviva.ch
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