Nach den UrbanFarms in den Armenvierteln Sao Paolos führt uns Benedikt Pestalozzi im zweiten Teil seiner Brasilien-Reise zu einem Imker nach Agudo. Dort macht Benedikt auch zum ersten Mal Bekanntschaft mit afrikanischen Killerbienen, die für ihr aggressives Verhalten bekannt sind. Benedikt hielt das immer für ein Gerücht. Er wurde aber eines besseren belehrt. Liebe Barbara,
über Hans Dieter Temp erfuhren wir von einem Imker in Agudo, einem 17.000-Seelen Städtchen im südbrasilianischen Staat Rio Grande do Sul. Dieser hätte sich dank dem Vertrieb von Honig aus dem skandalösen Abhängigkeitsverhältnis der Tabakbauern von den Großkonzernen lösen können. Nun ist er aber schon zehn Jahren aus dem Tabakgeschäft raus, lebt hauptsächlich vom Honigverkauf und verdient sich mit einer Art Ferienressort etwas Geld dazu. Mit dem zusätzlichen Einkommen seiner Frau, die an der Ortsschule Deutsch unterrichtet, leben sie mit ihren zwei Kindern von 9 und 15 Jahren in nicht schlechten Verhältnissen im Ort.
Honigverkauf beim Oktoberfest
Von seiner Honig-produktion hatte uns Lorivo Schüller nichts Spezielles zu erzählen, obwohl er sich 2012 gegen rund 20 Imker-kollegen durchsetzte und einen Pokal für den besten Blütenho- nig der Region bekam. 2010 räumte er einen Preis für den zweitbesten Waldhonig ab, verliehen vom regionalen Imkerverbund. Dank seinem guten Honig wurde er letztes Jahr an das Oktoberfest in Santa Cruz do Sul eingeladen, wo er viel Honig verkaufen konnte. Oktoberfest? Genau. Der ganze Süden von Brasilien ist nämlich von deutschen Einwanderern geprägt, die die Traditionen der Heimat ihrer Vorfahren weiter pflegen und zu eigenen Traditionen machen. Im Dorf begrüsst man sich mit „Tach, wie geht’s?“, durch den Ort verläuft die Straße „Rua Goethe“ und die Leute sehen aus, als kämen sie direkt aus Nordrhein-Westfalen. Bei weiterer Verständigung muss Lorivo jedoch auf Portugiesisch ausweichen.
Lorivo erntet in guten Jahren vier Tonnen Honig von seinen rund 300 Völkern. Die letzte Saison war jedoch schlecht, da gab es nur eine Tonne. Von der Varroa Milbe und dem großen Bienensterben weiss er nichts. Dass es letztes Jahr wenig Honig gab, lag für ihn am zu milden Winter und zu nassen Frühling (auf der Südhalbkugel sind die Wintermonate Juni bis August). Im Hinterhof seiner Honigboutique züchtet er Schweißbienen, eine Bienenart von fünf Millimeter Länge. Der Stachel der Mini-Bienen ist so kurz, dass er nicht in die Haut dringt und sie sammeln Nektar und Pollen von Blumen mit kleinen Blüten, die normale Honigbienen nicht bewirtschaften. Ihr Honig wird speziell für medizinische oder kosmetische Zwecke verwendet.
Der Besuch bei den Killerbienen
Apropos normale Honigbienen: In Südamerika ist die meist verbreitete Bienenart die Apis mellifera scutellata, die afrikanische Honigbiene. In den 1950er Jahren wurde sie zu Kreuzungsversuchen nach Brasilien gebracht, entwischte aber im Labor und breitete sich ohne natürliche Feinde in ganz Südamerika aus. Sie ist zwei- bis dreimal leistungsfähiger als europäische Honigbienen, aber sie ist auch sehr aggressiv und greift etwaige Nesträuber im Kollektiv an. Daran stirbt immer wieder mal jemand, mit Hunderten von Stichen übersät. Dies brachte ihr den Namen Killerbiene ein. Ich hielt diese Geschichten immer für eine Legende. Aber ich wurde eines besseren belehrt.
Bevor wir Lorivos Bienenstöcke besichtigten, zog ich mir den Schutzanzug über. Er brauchte keinen, denn schon sein Vater war Imker und er begleitete ihn seit Kindheitsbeinen an. An das Bienengift hat er sich gewöhnt. Leider hatte er an diesem Tag die Handschuhe vergessen, aber das machte mir nichts aus, es würde mich schon keine Biene stechen. Als wir uns jedoch mit der Wabe voll frischem Honig, die er zuvor aus einem Bienenstock gelöst hatte, wie zwei Großwildjäger mit ihrer Trophäe ablichten ließen, entdeckte eine der bestohlenen Bienen meinen nackten Handrücken und piekste rein. Und eine zweite tat es ihr gleich und eine dritte. Ich wandte mich ab. Zum Glück wurde ich nicht Ziel eines Generalangriffs und kam mit den drei Stichen davon. Ich wurde ja auch nicht zum ersten Mal gestochen und wusste, der Schmerz würde bald vergehen. Aber nach einer halben Stunde machte sich ein Druck in meiner Lunge breit, das Atmen wurde schwerer und schwerer, es war eine allergische Reaktion. Bevor ich im Spital ein Gegengift bekam, wurde mir der Puls genommen: 39 Schläge pro Minute. Ja, so werden Kleintiere gelähmt und erstickt, die sich mit den Killerbienen anlegen. Oder erwachsene Menschen, die nicht nur drei, sondern vielleicht dutzende oder hunderte Stiche abbekommen und kein Gegengift zur Hand haben. Ich hatte Glück. Aber den Rest des Tages verschlief ich im Hotel: Schläfrigkeit ist eine Nebenwirkung des Gegengiftes. Der Bienenbesuch war damit zu Ende.
Alle Fotos: © Benedikt Pestalozzi