In Berlin summt es schon gewaltig von den Dächern. Nicht von irgendwelchen Dächern. Die Aktion „Berlin summt!“ hat ihre Bienenstöcke an ganz berühmten Standorten aufgestellt und zeigt damit eindrucksvoll, dass Stadtimkerei zwar noch unter exotisch einzureihen ist, aber durchaus funktioniert und täglich mehr Fans gewinnt. Und immer mehr Menschen begreifen, dass das Bienensterben uns alle etwas angeht und wir mit einem – oft kleinen – Beitrag dagegen steuern können. Ein Gespräch mit der Projekt-Initiatorin Corinna Hölzer. Wie kamen Sie auf die Idee, Berlin summen zu lassen?
Corinna Hölzer: Die Idee auf das Bienensterben aufmerksam zu machen, kam wie ein Blitz über mich, als ich erstaunt über den alten Imker auf der Opera Garnier in Paris las, der aus privaten, imkerlichen Gründen seine Bienen auf dem Dach der Oper „zwischenparkte“ und merkte, dass sie entgegen seinen Erwartungen lustig Nektar und Pollen eintrugen. Stadtimkerei funktioniert also, dachte ich. Die Überlegung war, Entscheider der Stadt mit Bienen vertraut zu machen, indem Imker auf ihren Dächern Bienen halten und die Hausherren und ihre Belegschaft teilhaben lassen an der Faszination der Bienen. Der Funke sollte überspringen auf Führungskräfte, die bisher keinen Bezug zur biologischen Vielfalt, zu Stadtnatur, haben. Sie sollten innerhalb der Stadt als neue Multiplikatoren wirken, sich stark machen für diese tollen und wertvollen Insekten.
Es werden an Promi-Standorten Bienenkörbe aufgestellt. Ist es schwierig, eine Erlaubnis dafür zu bekommen?
Corinna Hölzer: Anfangs war es schwierig. Wir hatten eine Liste der Häuser erstellt, die verschiedene Gruppen der Stadt repräsentieren: Der Berliner Dom repräsentiert „Kirche“, das Abgeordnetenhaus die „Politik“, das Haus der Kulturen der Welt die „Kultur“, das Naturkundemuseum die „Wissenschaft und Bildung“ usw. Es kamen sehr viele ängstliche Fragen der Haustechniker auf: „Fliegen die Bienenschwärme nicht über die Frischluftzufuhr in die Kantine?“, „Wird den Bienen dort nicht zu warm auf dem Dach?“, „Wie oft muss der Imker kommen und bedeutet das einen Mehreinsatz für unsere Sicherheitsbeamten?“, „Muss Presse wirklich zugelassen werden auf dem Dach – ist das nicht zu gefährlich?“ oder „Werden wir nicht alle gestochen von den vielen Bienen, die ums Haus schwirren?“ usw. Und der Denkmalschutz hielt uns in Atem. Sie glaubten, die Bienenstöcke müssten irgendwo fest verankert werden und würden den Gesamteindruck der Fassade beeinträchtigen.
Wie konnten Sie diese – durchaus berechtigten – Einwände entschärfen?
Corinna Hölzer: Wir entwickelten dann eine nett gemachte Übersicht, die proaktiv auf die häufigsten Fragen antwortete. Diese legten wir bei den Anfragen direkt bei. Das half, Vorurteile durch reine Unwissenheit zu eliminieren. Bei manchen Häusern wie dem Roten Rathaus oder der Philharmonie war leider nichts zu machen.
Welche Erfahrungen haben Sie mit den Anrainern gemacht?
Corinna Hölzer: Nur gute. Wir haben keine einzige Meldung, dass irgendwer sich beklagt hätte. Im Gegenteil: Nach der ersten Aufregung beim ersten Schwarm auf dem Abgeordnetenhaus, der sich in einer gegenüberliegenden Hecke leicht einsammeln ließ, stießen die nächsten zwei Schwärme aus der wesensgemäßen Imkerei dort auf dem Dach eher auf Begeisterung – die Mitarbeiter des Hauses konnten das alles einordnen und als positiv bewerten.
Wie viele Imker sind für „Berlin summt“ im Einsatz?
Corinna Hölzer: In unserem zweiten Jahr haben wir nun 24 Imker auf 17 Standorten – nicht nur Dächer übrigens! Wo immer es geht setzen wir die Bienen auch in den Garten, wie z.B. beim deutsch-russischen Museum Karlshorst, wo unsere „Völkerverständigungsbienen“ summen. Auf dem Umweltforum Auferstehungskirche tummeln sich drei Imker und mehrere angehende Imker, alles Studierende der Hertie School of Governance, die Stadtimkerei als Hobby entdeckten.
Was passiert mit dem Honig, wird er verkauft oder verschenkt?
Corinna Hölzer: Grundsätzlich ist unsere Initiative so angelegt, dass Bienen und Honig den jeweiligen Imkern gehören. Wir Initiatoren kreierten das Honigglas-Etikett, das unser Maskottchen und einige Infos zum Sinn und Zweck des ganzen trägt. Viele Hausherren kaufen den Imkern den Honig ab und verschenken ihn dann an Gäste des Hauses weiter. Oder sie verkaufen den Honig im Domshop oder der Universitätsmensa. Ein bisschen Honig wird auf den verschiedenen Veranstaltungen verkauft oder gegen Spende abgegeben. Es ist also kein echtes Geschäftsmodell, sondern der Honig dient v.a. der Multiplikation der Idee: Leute aufmerksam machen und für die Sache gewinnen.
Es wird oft gesagt, dass die Bienen in der Großstadt gesünder seien als am Land; können Sie diese Meinung teilen?
Corinna Hölzer: Jein. Natürlich kommen in vielen Landstrichen leider zu viele Pestizide zum Einsatz. Manche „Landbienen“ haben es gut und werden von Wanderimkern gehegt, die sie zu neuen Blühtrachten bringen, wenn eine große Monokultur verblüht ist. Die anderen Bienen, übrigens auch viele Wildbienenarten, haben es tatsächlich schwer, wenn weit und breit keine Ackerrandstreifen blühen und die Obstblüte beispielsweise im Mai zuende geht. Diese Bienen verhungern dann, aber man kann nicht sagen, dass die Einzelbienen unbedingt gesünder sind in der Stadt, verglichen mit dem Land. Hier wird vieles durcheinander gebracht. In den Städten finden Bienen oft tatsächlich auf engstem Raum viele unterschiedliche Blühtrachten, auch viele Bäume, die dazu führen, dass die Bienen von Februar bis Oktober Nahrung finden. Auf die Bienengesundheit wirken sich aber neben der Nahrung natürlich auch imkerliche Pflegemaßnahmen aus bzw. deren Mangel. Wir müssen dafür sorgen, dass Bienenhaltung nicht nur ein „Trend“ wird, sondern in allen Facetten ernst genommen wird.
Ist das Stadtimkern nicht noch sehr exotisch?
Corinna Hölzer: Es ist noch exotisch, gewinnt aber täglich mehr Freunde. Uns erreichen viele Briefe von Menschen, die gerne Bienen halten möchten – nicht weil sie Honig produzieren wollen, sondern weil sie verstanden haben, dass Bienen als wichtige Bestäuber die biologische Vielfalt erhalten. Wir leiten die Anfragen weiter an die Imkervereine, die im letzten Jahr in Berlin tatsächlich 15 Prozent Neuimker verbuchen konnten! Allerdings sagen wir auf den Aktionsständen: „Es muss ja nicht jeder Imker werden, der sich für Bienen einsetzen will. Gestalten Sie Ihren Garten oder Balkon bienenfreundlich und erfreuen Sie sich an den faszinierenden Wildbienenarten, von denen es 298 in Berlin gibt!“.
Seit 2011 gibt es „Berlin summt!“. Wie nehmen die Menschen, Imker, Bienenfans oder Honigliebhaber diese Aktion wahr?
Corinna Hölzer: Wir starteten im Dezember – nach halbjähriger interner Vorbereitung – mit einem Vernetzungsworkshop, zu dem mehr als 50 Personen kamen. Vielen von ihnen sind immer noch mit der Initiative verhaftet und haben inzwischen selbst viele weitere Menschen motiviert. Unser Resümee ist positiv, weil der Funke zumindest auf einige der Hausherren übergesprungen ist und sie mit uns überlegen, wie sie sich in ihrer Funktion für die Bienen in Berlin einsetzen können. Die „Bürger“ fragen uns Löcher in den Bauch – das ist allerdings manchmal auch anstrengend.
Welche positiven Erfahrungen haben sie bisher mit „Berlin summt!“ gemacht.
Corinna Hölzer: Die Imker betreuen die Bienen auf den Promi-Standorten gerne und gut. Die Häuser wollten im 2. Jahr (nach anfänglicher Skepsis im 1. Jahr) „ihre“ Bienen unbedingt behalten, manche ließen weitere Bienenstöcke zu. Viele Mitmachaktionen sind gut besucht, z.B. sind viele am Bau von funktionierenden Wildbienen-Nisthilfen und an Saatgut interessiert oder beteiligten sich am Gartenwettbewerb. Im ersten Jahr war die Medienresonanz unglaublich gut. Wegen der starken Öffentlichkeitswirkung erreichten uns zahlreiche Angebote, ehrenamtlich mitarbeiten zu dürfen.
Was gilt es für Sie zu verbessern?
Corinna Hölzer: Das Ehrenamtsmanagement war neu für uns und benötigte sehr viel Betreuungszeit. Viele „Ehrenamtliche“ hatten eigentlich im Sinn, bei der Initiative angestellt zu werden und bewarben sich um andere Jobs, sobald sie merkten, dass unser Verein (noch) keine Finanzen für den Ausbau von Stellen hat. Hier bemühen wir uns um Finanzierungen, die uns feste Stellen ermöglichen. Dann gelang uns noch nicht wirklich, die Medien für unsere eigentlichen Protagonisten (neben den Bienen und den Imkern) zu interessieren: die Hausherren. Hier planen wir hausinterne Aktionen, die die Nähe der Häuser und ihrer Belegschaft zu den Bienen weiter stärken helfen und gleichzeitig attraktiv für die Medien sind.
Neben Berlin, summt es auch schon in München und Frankfurt/Main. Welche Städte kommen in Zukunft dazu? Ist es auch denkbar, ein „Wien summt!“, ein „Zürich summt!“ zu machen?
Corinna Hölzer: Wir erhielten Anfragen aus vielen anderen Städten und planen, nur dort Vor-Ort Initiativen zu starten und mit unserer Stiftung für Mensch und Umwelt zu unterstützen, wenn dort ein gutes Kernteam vorhanden ist. Wir suchen also die Städte nicht selbst aus sondern reagieren auf Anfragen. Im Jahr 2013 sind wir mit Hamburg und Nürnberg am Start, vielleicht werden auch Magdeburg, Göttingen und Osnabrück mit summen. Mittlerweile wagen wir es, diese Stadt-Initiativen auf der Plattform und unter dem Label „Deutschland summt!“ zu präsentieren und dafür zu werben, sich zu beteiligen. Zu Wien haben wir schon ein wenig Kontakt, aus Zürich kam bisher keine Anfrage. Warum nicht? Je stärker das Konzert besetzt ist, desto mehr können wir alle für die Bienen erreichen.
Noch eine persönliche Frage: Imkern Sie selbst? Oder welchen Nahbezug haben Sie zu Landwirtschaft, Gärtnern, Pflanzen etc.
Corinna Hölzer: Als Diplombiologin ist die Erhaltung von biologischer Vielfalt mein Leib- und Magenthema. Mit der Bienenhaltung beschäftige ich mich tatsächlich erst seit meiner Berlin summt!-Idee im Mai 2010. Erst mit Umzug unseres Büros vor wenigen Monaten wurde der Traum wahr und mein Mann und ich halten endlich eigene Bienen. Ein schönes Gefühl. Leider hat eine der sieben Hausbewohner Angst vor ihnen, sodass wir sie vermutlich umstellen müssen.
Was bedeuten für Sie Bienen?
Corinna Hölzer: Ich hätte nicht gedacht, dass sie mir so schnell ans Herz wachsen. Die domestizierten Honigbienen mit ihrem Staatengebilde und ihrer außergewöhnlichen Kommunikationsleistung faszinieren mich als ehemalige Verhaltensforscherin natürlich sehr. Wen nicht?! Ich habe mich aber auch in die kleinen, vielseitigen Wildbienen verliebt. Vor allem beeindruckt mich die gegenseitige Abhängigkeit von Biene und Pflanze. Vielfalt braucht Vielfalt. Vielfalt schafft Vielfalt. Ich sehe sie eigentlich in ihrer Gesamtheit: zarte, emsige, angepasste Wesen, zum Teil leider von uns abhängig, großartige Bestäuber und Erschaffer einer bunten, lebenswerten Welt.
Wer den Film „More than Honey“ sieht, der ab 8. November 2012 in die Kinos kommt, wird vermutlich genauso gerührt und aufgebracht sein wie ich. Es ist eigentlich keine Kunst, diese kleinen Wesen ins Herz zu schließen, wenn man erst mal seinen Blick schärft und genau hinschaut. Umso schlimmer zu sehen, wie wir mit ihnen umgehen: Wir beschneiden ihre
Lebensräume, bringen Pestizide aus, züchten immer emsigere Honigbienen und nehmen die Verantwortung für ein Bienenvolk nicht immer so ernst wie nötig. Der Film „More than Honey“ zeigt die Auswüchse der Berufsimkerei in den USA – eine Warnung an uns Deutsche, wo die Versklavung der Bienen noch nicht stattfindet. Es gibt auf vielen Ebenen viel zu tun. Daher arbeitet unsere Initiative ja auch gemäß dem Leitspruch: „Wenn viele kleine Menschen viele kleine Schritte tun…“
Ich danke für das Gespräch.
Foto 1: © Éric Tourneret . Imker Andreas Krüger auf dem Rathaus Marzahn-Hellersdorf.
Foto 2: © Chris Noltekuhlmann. Corinna Hölzer und ihr Mann Cornelis Hemmer (rechts im Bild), der ebenfalls tatkräftigst die Aktion unterstützt. Im Bild die Einweihung am Dom.
Foto 3: © Cornelis Hemmer. Langer Tag der StadtNatur, Berlin 2011.
Foto 4: © Cornelis Hemmer. Tag der Artenvielfalt Berlin, Juni 2011.
Foto 5: © Corinna Hölzer. Im Bild: Imkerin Hilde Smits auf dem Dach des Musikinstrumentenmuseums
Foto 6: © Heike/www.pixelio.de
Foto 7: © Filmladen Filmverleih, Filmplakat „More than Honey“ – ein Film von Regisseur Markus Imhoof