Der essbare Tiergarten: Fleischkonsum als neue Religion

essbare Tiergarten und Josef ZotterDer bekannte österreichische Chocolatier Josef Zotter ist auch ein innovativer Landwirt. Aufgewachsen als Bauernbub betreibt er heute gleich zwei Bauernhöfe: Einen kleineren für seine Familie und einen großen gleich neben seiner Schokoladenfabrik, der als essbarer Tiergarten für Schlagzeilen sorgt. überLand sprach mit ihm über depressive Bauern, Schokolade mit Schweineblut und warum Fleischessen etwas Heiliges ist.

Wie kommt man darauf, einen essbaren Tiergarten zu machen? Ist das nicht sehr provokant?

Josef Zotter: Ich komme aus der Landwirtschaft, habe später als Koch mit landwirtschaftlichen Produkten viel zu tun gehabt und ich habe eines bemerkt: Die Konsumenten wenden sich immer mehr von der Produktion ab, möchten nichts davon wissen.

Ich habe auch gesehen wie sich die Landwirtschaft entwickelt hat. Sie ist immer trauriger geworden: Früher waren die Bauern noch vital, heute sind viele von ihnen depressiv. Diese Depression schlägt sich auf die Produkte nieder. Wenn ein Bauer mal sagt, ich produziere Schweinehälften, dann wird’s arg.

Durch diese Entrückung von beiden Seiten gibt’s keine Emotion mehr; das Fleisch im Supermarkt hat keinen Kopf, kein Blut, keine Seele; die Leute kaufen das, essen und werfen das übrig gebliebene weg. Weil es nichts kostet, keine Emotionen hat, eh wurscht ist.

Für mich ist der Essbare Tiergarten ein Versuch, die Dinge wieder zusammenzuführen, einen natürlichen Kreislauf zu schließen.

Der essbare Tiergarten schürt Emotionen. Wie nehmen das die Besucher auf?

Der essbare Tiergarten: Aufnahme über das ArealJosef Zotter: Die Reaktionen sind durchwegs positiv: Es ist hier schön zum Spazieren gehen und es steckt ein Inhalt dahinter. Wir stoßen eher bei jenen auf kein Verständnis, die noch nicht hier waren, die den Garten noch nicht gesehen haben, und bei Tierschützern, die meinen: „Zotter schlachtet öffentlich“, was ja gar nicht stimmt. Neulich hat aus der Ecke jemand gemeint: Das wäre das Gleiche wie wenn die Gefangenen von Guantanamo öffentlich hingerichtet werden würden und man noch Eintritt dafür verlangen würde. Weder schlachten wir hier öffentlich die Tiere noch belustigen und bereichern wir uns daran.

Im Essbaren Tiergarten werden vorwiegend Tiere gehalten, deren Bestand gefährdet ist. Auf Ihren Weiden finden sich Turopolje Schweine, Altsteirer Hühner oder Hochlandrinder etc.. Essen Sie die auch?

Josef Zotter: Natürlich! Aber ich persönlich esse nur ein bis zwei Mal Fleisch in der Woche. Für unsere Mitarbeiter ist das auch eine Herausforderung. Sie streicheln das Tier und drei Wochen später ist es auf dem Speiseplan unserer Betriebskantine. Da haben einige gemeint „das kann ich jetzt nicht essen“, und genau das ist der springende Punkt. Wenn ich eine Beziehung zum Tier aufgebaut habe, dann esse ich nicht mehr so einfach Fleisch. Dann isst man anders.

Der essbare Tiergarten bietet auch eine „Essbar“. Machen Sie die Beobachtung, dass die Gäste in dieser Umgebung plötzlich bewusster Fleisch konsumieren?

Josef Zotter: Es gibt dort Speisen mit einem kleineren Fleischstück, dafür mehr Gemüse und Beilagen. Es gibt auch Speisen ohne Fleisch. Ablehnung kommt nur von den Erwachsenen, nie von den Kindern. Kinder sind unverbraucht. Aber viele der Besucher sagen mir, sie gehen hier mit einem anderen Bewusstsein raus als sie rein gekommen sind.

Der Essbare Tiergarten steht für Wertsteigerung. Er ist Teil eines Gesamtkonzepts. Wie geht’s weiter?

Josef Zotter: Wenn wir eine ökologische Landwirtschaft verfolgen, dann müssen wir in Richtung Energieautarkie. Wir haben jetzt auf dem Areal 630 M2 drehbare Flächen an Sonnenkollektoren, darunter weiden die Schafe. Unser Ansatz ist ein ganzheitlicher.

Ich fahre das kleinste Auto von allen hier im Betrieb, ich investiere in was anderes, weil es mir das eben wert ist.

Der „essbare Tiergarten“ ist eine Landwirtschaft, daneben haben Sie noch einen größeren Betrieb. Ist der essbare Tiergarten ein Vorbild für den großen?

Josef Zotter: Ja, seit 15 Jahren probiere ich dort schon aus. Wir sind auch dort energieautark können uns selbst versorgen. Wir haben alle Tiere, die es auch hier im großen Areal gibt. Wenn wir zu Hause ein Hendl essen, dann sprechen wir mit meiner kleinen Tochter darüber, ob das eine nette oder eine wenige nette Henne war. Ist eine Beziehung zum Tier da, reduziert man automatisch den Fleischkonsum.

Fleischkonsum und Fleisch essen bedingt Tiere zu schlachten. Sie bauen derzeit auf dem rückwärtigen Teil des Tiergartens ein Schlachthaus? Warum?

Josef Zotter: Wenn wir schon Fleisch essen, dann müssen wir schauen, dass es den Tieren bis zur letzten Stunde gut geht. Bei uns kommen die Tiere von ihrer vertrauten Umgebung direkt von der Weide in einen Korridor, der sich verjüngt und wo sie dann betäubt werden. Wir nennen unser Schlachthaus Weidehimmelsbrücke. Im Sommer wird es fertig sein.

Wird man als Besucher dabei sein können?

Josef Zotter: Das machen wir nicht, wir wollen daraus keine öffentliche Veranstaltung machen. Ich kann doch nicht sagen: Um halb acht versammeln wir uns alle dort und schauen zu.

Mit den hygienischen Auflagen haben Sie bei der Errichtung keine Probleme?

Josef Zotter: Wir haben keine Probleme. Die Bauern verwenden das oft als Ausrede, die Auflagen seien so streng usw., und deswegen könnten sie das nicht machen und deswegen sei Schlachten auf der Weide verboten, das stimmt so einfach nicht. Man kann sehr wohl auf der Weide schlachten, muss natürlich Richtlinien dabei einhalten. Es gibt auch eine mobile Box, mit der ich direkt zum Tier hinfahren kann, das funktioniert aber bei uns nicht, weil die Freiflächen zu groß sind.

Das ist eine teure Investition, die Sie sich leisten können. Andere Bauern tun sich vermutlich schwerer?

Josef Zotter: So etwas kostet natürlich! Wenn man nur fünf Rinder hat, wird es sich nicht rentieren, aber dann muss ich mich eben mit zehn anderen Bauern zusammenschließen. Das geht auch. Es könnte ja auch die Gemeinde so etwas errichten und sie ihren Bauern zur Verfügung stellen. Dann würde viel Tierleid durch lange Transportwege und schlechte Schlachthofbedingungen erspart bleiben.

Was läuft noch schief neben Massentierhaltung und langen Transportwegen?

Josef Zotter: 3,99 Euro für 1 kg Schweinefleisch geht einfach nicht. Zahlen Sie das Doppelte und essen Sie die Hälfte und Sie haben einen Gewinn gemacht. Wir brauchen nicht den vollen Kühlschrank, vergammeln eh’ nur die Produkte drin.

Fleisch essen hat auch mit Heiligkeit zu tun. Wir haben heute keine Spiritualität mehr, die katholische Kirche ist im Auflösen begriffen, und jetzt sind die Leute im schwebenden Raum. Genau über dieses Thema kann wieder eine Mystik entstehen. Zum Beispiel unser Reiferaum für das Fleisch heißt Schinkenmausoleum. Wir überspitzen bewusst, damit die Leute nachdenken.

Deswegen auch die Schokolade mit Schweineblut und Weihrauch?

Josef Zotter: Eine Spezialanfertigung für die Sängerin Anja Franziska Plaschg. Die Schokolade aus Schwarzkümmel, Weihrauch und Schweineblut ist eine mystische Mischung, die auch die Tiefe der Musik der Soap&Skin Sängerin widerspiegelt.

Sie lassen sich immer wieder auf Neues ein. Gehört die Zukunft der Landwirtschaft auch den innovativen Kräften?

Josef Zotter: Ja, sicher haben innovative Landwirte eine große Chance: Aber tun müssen sie schon was. Wenn ich mich für die Landwirtschaft entscheide, dann muss ich mit anpacken. Leider sind auch viele naiv unterwegs.

Insgesamt wird die Landwirtschaft künftig gezwungen sein, anders zu agieren als bis jetzt. Mit Social-Media wie Facebook z. b. wird alles total transparent und jeder Millimeter zugänglich. Jetzt können die Leute endlich mitdiskutieren. Da wird sich auch in der Landwirtschaft einiges ändern.

Was ist das Faszinierende für Sie an der Landwirtschaft?

Josef Zotter: Ich antworte jetzt als Chocolatier. Für mich ist das Faszinierende die Kakaobohne und die Bauern dahinter, die sie pflegen, ernten und trocknen. Und genau dort passiert auch der Geschmack – das ist faszinierend.

Ich danke für das Gespräch.

Photo (1,2): Zotter, Photo (3): Barbara Kanzian

Empfehlung von überLand in der Region

Essbarer Tiergarten

Bergl 56, A-8333 Riegersburg

Öffnungszeiten: bis April: Mo-Sa 9:00 bis 19:00 Uhr; Mai bis Oktober: Mo-Sa 9:00 bis 20:00 Uhr

Genusshotel Riegersburg

Wenn Sie gerade in dieser Region unterwegs sind und übernachten wollen, dann eignet sich das Genusshotel Riegersburg in der Oststeiermark bestens dafür. Inmitten von Weinbergen gelegen, schmiegt sich das Hotel an die hügelige Landschaft. Zimmer, Speisesaal und Wellness-Bereich sind Richtung Riegersburg orientiert, das heißt man genießt einen traumhaften Ausblick auf das Vulkan-Land. Die großzügigen Zimmer, die komfortable Terrasse und ein kleiner, aber feiner Wellness-Bereich sorgen für entspannte Stunden. Ausgesprochen gut ist auch das Essen mit zahlreichen regionalen Schmankerln.

Foto: Genusshotel Riegersburg

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert