Hunger in Afrika durch freien Markt

Regionale Lebensmittel, heimische Produkte, Existenzsicherung der Bauern und gleichzeitig Versorgungssicherheit der Bevölkerung – Schlagworte, die seitens der Politik gerne in den Mund genommen wird. Doch wie passen sie mit der neoliberalen politischen Realität zusammen? Einer Realität, die auf Weltmärkten produzierte Lebensmittel fördert und subventioniert, nicht liberalisierte Staaten dazu zwingt

ihre Märkte für billige, überseeische Lebensmittelexporteure zu öffnen und über gestiegene Importe die Abhängigkeit der Konsumenten bei einer einhergehenden Verarmung der ländlichen Produzenten erhöht?
Eine Studie von William G. Moseley, Judith Carney und Laurence Becker der Universität von Kalifornien und der Oregon State University, veröffentlicht in Proceedings of the National Academy of Sciences hat sich diesem Thema gewidmet. Hintergrund waren die sprunghaft gestiegenen Lebensmittelpreise in 2007 und 2008, die insbesondere in afrikanischen Ländern zu Hunger und zu Unruhen geführt haben. Wie es zu diesen Abhängigkeiten gekommen ist und wie dem aber auch entgegengesteuert werden kann, zeigt sich sehr eindrucksvoll am Beispiel der drei Länder Gambia, Elfenbeinküste und Mali.
In allen diesen drei Ländern wurde unter dem Druck insbesonderer internationaler Organisationen die Märkte für Lebensmittel-Importe seit ungefähr Mitte der 1980er Jahre durch Abbau der Zollbarrieren geöffnet, staatsnahe Betriebe privatisiert und öffentliche Agrarsubventionen zurückgefahren. Als einer der Folgen ist der Import von Reis sprunghaft gestiegen, da subventionierter Reisanbau aus Amerika aber auch das Erstarken asiatischer Reisproduzenten, den Preis von importierten Reis unter dem aus heimischen Anbau gesenkt hat.
Doch auch strukturelle Mängel und politische Versäumnisse haben dazu geführt, dass heimischen Produkte, wie z.B. in Gambia, das traditionell ein Reisanbauland war, zurückgedrängt werden. Diese Mängel beginnen bereits mit den Reismühlen, von denen es entweder eine zu geringe Anzahl gibt oder die nur eingeschränkte Verarbeitungsmöglichkeiten aufweisen. Gepaart mit schlechter Infrastruktur, die den Transport zur Verabeitung und danach weiter zu den städtischen Märkten, aufwändig und teuer machen, haben die regionalen Lebensmittel einen Wettbewerbsnachteil. Das gleiche gilt übrigens auch für die anderen heimischen Lebensmittel wie Mais, Sorghum und Hirse (im trockenen Westen von Afrika) sowie aus dem Süden Cassava (Maniok), Yam oder Kochbananen – deren aufwändigere Zubereitung lassen insbesondere die urbane Bevölkerung aus den ärmeren Schichten und auch aus dem Mittelstand zum billigeren (in den meisten Fällen auch qualitativ minderwertiger, weil gebrochen) und schnell sättigenden Importreis greifen.
Mit den Folgen, dass die regionalen Lebensmittel nicht mehr nachgefragt werden; selbst die ländliche Bevölkerung ist nicht mehr in der Lage, ihren Eigenbedarf an heimischen Lebensmittel abzudecken, da sie – gefördert durch die Politik – auf Ertragsanbau (insbesondere Baumwolle) umgestiegen ist. Ein Verarmungsprozess der Landbewohner tritt ein, die als Reaktion die Landwirtschaften aufgeben und in die Städte ziehen und damit die Spirale der Abhängigkeit vom importierten Reis weiter anheizen. Da auch noch der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel am verfügbaren Einkommen einen großen Teil einnimmt, schlägt sich jede Preisschwankung auf den Weltmärkten in der Ernährungslage der Bevölkerung nieder.
In den drei untersuchten Ländern Gambia, Elfenbeinküste und Mali litt einzig die Bevölkerung in Mali am geringsten unter den Auswirkungen der gestiegenen Preise für Reis. Der Grund, warum gerade in Mali – wo es ebenso wie in Gambia und der Elfenbeinküste zur Marktliberalisierung in den 1980er gekommen ist – die Ernährungssicherheit weitestgehend sichergestellt werden konnte, hat mit einem höheren Selbstversorgungsgrad zu tun. Importierter Reis war durch die Binnenlage des Landes von Grund auf etwas teurer als in den beiden anderen Ländern, die durch die Seehäfen leichter mit Übersee-Reis beliefert werden konnte. Aufgrund der erhöhten Preise der Importgüter konnten sich auch heimische Reisproduzenten in Mali halten, die zudem von einer guten Infrastruktur innerhalb des Landes aber auch der Bereitschaft der Bevölkerung, einen höheren Preis für die heimischen Reissorten zu zahlen, profitieren konnten. Desweiteren wurde Reis durch traditionelle Grobkörner wie Mais, Sorghum und Hirse ersetzt, die durch den vermehrten Anbau (Bauern haben den Baumwollanbau aufgelassen, der schon etwas länger Absatzrückgänge zu verzeichnen hatte) auch günstiger wurden. Die (urbane) Bevölkerung von Mali ist auch den Konsum von Grobkorn-Mahlzeiten gewöhnt, da der Urbanisierungsprozess erst relativ spät begonnen hat und die Landflüchtigen noch mit der Zubereitung traditioneller Speisen vertraut sind.
Die Studie kommt zusammenfassend zu dem Schluss, dass eine Konzentration auf die heimische Lebensmittelproduktion – statt wie in der Vergangenheit auf die Ertragsproduktion (mit Baumwolle) – notwendig ist, um die Ernährungssichheit zu gewährleisten. Der Politik sollte es gestattet sein, mit Subventionen und Zollbarrieren die heimische Produktion zu favorisieren. Saatgut-Initiativen sollten insbesondere die ärmsten Bauern, und auch die Frauen, erreichen; doch weitaus mehr als nur die Verteilung von Saatgut muss die Politik auf eine gute Verkehrsinfrastruktur und auch auf entsprechende Kapazitäten bei den Mühlen achten, um die heimischen Lebensmittel auf die Märkte zu bringen. Wenn in der Vergangenheit die politische Gewichtung auf die Versorgungssicherung der urbanen Konsumenten gerichtet war, so muss nun ein Umdenken stattfinden und der Existenzsicherung der ländlichen Produzenten zumindest der gleiche Stellenwert eingeräumt werden.

William G. Moseleya, Judith Carney und Laurence Becker
Neoliberal policy, rural livelihoods, and urban food security in West Africa: A comparative study of The Gambia, Côte d’Ivoire, and Mali
Veröffentlicht in: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America

Photo: FAO/Walter Astrada

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