Zum Weltfrauentag trafen wir Sängerin und Filmemacherin Christina Zurbrügg. Die gebürtige Schweizerin lebt seit vielen Jahren in Österreich. Hier hat sie auch mit dem Dudeln, der städtischen Form des Jodelns begonnen. Du bist im Berner Oberland aufgewachsen, in einer richtigen Idylle.
Christina Zurbrügg: : Ja, eine richtige Heidi-Idylle, zwei Wirtshäuser, zwei Kur-Hotels, zwei Bäckereien, Berge rundherum. Ich selbst bin in der Dorf-Bäckerei aufgewachsen.
Gibt’s Bauern in Deiner Familie?
Christina Zurbrügg: Meine Oma ist Bäuerin. Sie hat mit Leidenschaft zwei riesige Gärten bestellt. Als ich noch ein Vorschulkind war, hat sie mir eine eigene Gartenecke angelegt, wo ich ausprobieren konnte. Da habe ich mit großer Hingabe meine Blumen angepflanzt und geerntet. Wir hatten auch noch einen großen Keller, wo meine Oma Erdbeete hatte.
Du wolltest aber bald raus aus der Schweiz?
Christina Zurbrügg: Ich wollte raus und weg aus dem Dorf. Wir hatten bei uns immer Touristen, vor allem Franzosen und Holländer, die von den anderen Teilen der Welt erzählten. Sie haben mich neugierig gemacht. Intellektuellen-Gespräche oder sowas ähnliches gab es bei uns im Dorf nicht. Da wurde gearbeitet. Das war das Thema.
Die Touristen waren also der Schlüssel zu einer anderen Welt?
Christina Zurbrügg: Es gab daneben Bücher, wo ich früh mit anderen Ländern konfrontiert wurde. Oder ich fragte mich, „Wo ziehen die Schwalben hin?“. Fernsehen gab es erst, als ich in die Schule kam.
Wo bist Du zur Schule gegangen?
Christina Zurbrügg: Ich ging in die Volksschule, direkt im Dorf. Da waren vier Klassen in einem Raum untergebracht. Dann ging ich in die Sekundarschule im nächsten Ort, da bin ich mit dem Fahrrad hingefahren. Ins Gymnasium bin ich in Bern gegangen, im zweiten Jahr habe ich schon in einer wohl geordneten Wohngemeinschaft gelebt. Mit 15 war ich dann weg und lange nicht mehr dort.
Wie ging’s nach dem Gymnasium weiter?
Christina Zurbrügg: Ich wusste nicht so recht, ob ich einen sicheren oder einen künstlerischen Beruf wählen sollte. Ich bin damals viel gereist, verbrachte ein Jahr in Südamerika. Nach diesem Jahr habe ich mich für die Kunst entschieden. Die Wiener waren die ersten, die mich genommen haben. Ich machte eine Ausbildung im dramatischen Zentrum nach Jerzy Grotowski. Er hat auch die Schiene zur Volksmusik gelegt. Wenn er von Dorf zu Dorf gezogen ist, hat er immer die jeweilige Musik des Dorfs mit einbezogen.
Du jodelst. Was verbindet Dich damit?
Christina Zurbrügg: Ich habe hier in Wien mit dem aktiven Jodeln begonnen. Aber mein Onkel hat immer gejodelt, wenn wir auf die Alm fuhren, um Ziegenkäse zu machen. Das ist was sehr Intimes: Wir fahren im Auto auf die Alm und er jodelt. Hingegen dieses Jodel-Klubs sind spießig und konservativ, auch unlebendig. Dort steht nur die Traditionspflege im Vordergrund.
Jodeln ist doch auch sehr männlich besetzt?
Christina Zurbrügg: Die ganzen Jodel-Vereine sind Männervereine, die Frauen haben gesungen. Der Text hat sich immer auf die Schönheit der Berge und die Schweiz bezogen, da ging es um nichts anderes. Da hat sich viel geändert.
Du machtst eine völlig andere Art der Musik. Du setzt Dich sehr mit der Moderne und der Vergangenheit auseinander. Wie bezeichnest du Deine Musik?
Christina Zurbrügg: Ich komme aus der archaischen Bergwelt und lebe seit Jahren in der Stadt völlig urban. In meiner Musik kommt das Traditionelle ebenso vor wie das Moderne. Sie lebt von den Gegensätzen. Mit der Mehrsprachigkeit bin ich ebenfalls aufgewachsen. Als ich hier in Wien begann, merkte ich, dass das Schwyzerdytsch viel musikalischer ist.
Später hast Du begonnen, Akkordeon zu spielen. Warum gerade dieses Instrument?
Christina Zurbrügg: Es ist das Instrument der Unabhängigkeit, ich habe immer nur mit Band gespielt und dann dachte ich mir, ich möchte gerne allein. Und das Akkordeon ist optimal dafür. Mit ganz wenig Tönen kann ich dazu singen. Ein super Begleitinstrument.
Ein Film von Dir beschäftigt sich mit der letzten Dudlerin. Was ist eine Dudlerin?
Christina Zurbrügg: Dudeln ist die städtische Form des Jodelns. Die Dudlerin mit ihrer Unkapriziertheit der Frauen hat mich sehr begeistert. Das waren Musikantinnen, die mit dem Musizieren aufgewachsen sind, sie haben das von der Familie mitbekommen. Zum Teil haben sie es gleich gesungen wie damals, zum Teil waren sogar die Gesten gleich.
Begonnen hat das mit Tiroler Jodlern, die zur Zeit des Biedermeiers in die Stadt kamen, um vor den Adeligen zu singen. Irgendwann mischte sich diese Musik mit städtischen Einflüssen. Raus kam das Dudeln.
In Deinem Film „Halbzeit“, geht es um ein halbes Leben in der Schweiz und ein halbes Leben in Österreich. Du kennst die schweizer Seele und die österreichische sehr gut. Zu welcher fühlst du Dich mehr hingezogen?
Christina Zurbrügg: Mit der schweizer Seele geht’s mir besser, weil es meine Seele ist. Da gibt es so kleine Dinge, die sind schweizerisch: Wenn man z. B. Energie in ein Projekt steckt, dann soll man es gleich anständig machen, statt schlampig. Lavieren mag ich auch nicht, das liegt mir nicht. Und ein „Ja“ bedeutet ein „Ja“ und eben kein „oder“ oder ein „vielleicht“. Auf der anderen Seite ist Wien eine unvergleichliche Stadt, in der Kultur und Natur so nah beieinander liegen.
Obwohl ähnlich viel Einwohner, unterscheiden sich die Länder sehr.
Christina Zurbrügg: Augenfällig in der Schweiz ist, dass alles viel gedrängter ist. Wenn Du von Südamerika in die Schweiz kommst, glaubst Du, Du bist in einer Schrebergartensiedlung – enge Zäune und Wege. Es gibt in Österreich noch unbebaute Landschaften, die gibt’s kaum mehr in der Schweiz.
Bist Du eine Schweizerin oder schon eine Österreicherin?
Christina Zurbrügg: Schweizer geben ihre Staatsbürgerschaft nicht auf, sie haben da einen Stolz. Ich bin eine Wahlwienerin.
Ich danke für das Gespräch.
Die nächsten Konzerte: Live können Sie Christina Zurbrügg demnächst am 16. März in der Sargfabrik (Wien) und am 21./22. April beim Spielfestival erleben.
Foto (1): Max Berner
Foto (2): GAMS film&music
Foto (3): Joseph Gallauer