Ein süßes Kraut startet durch, Teil II

Sasha Walleczek SteviaVor wenigen Tagen ging überLand im Beitrag „Ein süßes Kraut startet durch, Teil I“ der Frage nach, welche Qualitätsunter- schiede es zwischen Stevia gibt und wie die Produktionsbedingungen in Paraguay aussehen. Heute geht es um die Verwendung von Stevia. Das folgende Interview mit der bekannten öster- reichischen Ernährungstherapeutin Sasha Walleczek hinterfragt vor allem eins: Sind wir nicht alle in unserer Ernährung schon viel zu süß unterwegs?

Frau Walleczek, Stevia ist heute in aller Munde und viele sehen es als optimalen Ersatz zu Zucker, weil es keine Kalorien hat. Ist Stevia auch in Ihrer Küche zu finden?

Sasha Walleczek: Nein, ich verwende überhaupt keine Zuckerersatzstoffe und habe auch in meinem Ernährungskonzept keine Verwendung dafür.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Stevia gemacht?

Sasha Walleczek: Ich habe es selber noch nicht probiert, weil ich einfach keine Verwendung dafür habe, habe sehr unterschiedliche Meinungen dazu gehört: die einen finden es super, die anderen beschweren sich über den doch recht deutlichen Beigeschmack. Wie gesagt, ich kann das weder bestätigen noch widerlegen, da ich es selber nicht verwende.

Schmecken Speisen und Getränke, mit Stevia gesüsst, ähnlich oder gleich wie mit Zucker?

Sasha Walleczek: Es hat mir gegenüber noch keiner behauptet, dass mit Stevia gesüßtes gleich schmeckt wie mit Zucker gesüßt. Ich würde auch hoffen, dass die meisten Menschen noch Geschmacksnerven haben, die empfindlich genug sind, dass sie den Unterschied merken, wenn kein richtiger Zucker drin ist. Schließlich ist der Geschmack für uns ein ganz wesentlicher Sinn dafür, was in einem Lebensmittel enthalten ist.

Empfehlen Sie Stevia bei der Gewichtsreduktion?

Sasha Walleczek: Gewichtsreduktion funktioniert meiner Meinung nach nur über eine Ernährungsumstellung, nicht indem man die gleichen Dinge einfach weiter isst und sie durch kalorienarme Varianten ersetzt. Damit das funktionieren könnte, müsste der Körper sein Sättigungsgefühl nur an der Optik und am Volumen einer Mahlzeit ausrichten. Nach dem Motto: „Wenn es aussieht wie fettes, gesüßtes Joghurt und (mehr oder weniger) danach schmeckt, dann bin ich nach der gleich großen Mahlzeit satt.“ So funktioniert aber unser Körper nicht. Meiner Meinung nach hängt Sättigung von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem auch vom Verhältnis von Kohlenhydraten und Eiweiß in einer Mahlzeit und ob der Körper mit dieser Mahlzeit alle Nährstoffe bekommt, die er braucht. In diesem Zusammenhang spielt aber Stevia für mich keine Rolle, weil es allerhöchstens den echten Geschmack der Lebensmittel mit „süß“ überdecken könnte (was in meinem Ansatz nicht zielführend wäre), aber sonst keinen Beitrag leistet.

Ist Stevia für Sie ein gutes Ersatzmittel statt Zucker?

Sasha Walleczek PorträtSasha Walleczek: In meinem Ansatz braucht man kein Ersatzmittel für Zucker. Denn hin und wieder darf man alles – und dann darf man eben auch Zucker essen. Aber an einem „normalen“ Tag kommt kein Zucker vor – weder im Joghurt, noch in der Salatsauce oder im Kaffee. Und wenn man sich dann etwas Besonderes gönnt, dann kann es ruhig normaler Zucker sein, in Form von Kuchen, Schokolade, Eis, etc. Zumindest nach meinem Ansatz. Das Hauptproblem, das ich mit Zuckerersatzstoffen aller Art habe, ist die Tatsache, dass Menschen allgemein Süßes bevorzugen. Das ist uns evolutionär vorgegeben. Aber je mehr wir Süßes essen, umso mehr müssen wir süßen. Aber wenn es „eh nichts macht“, also keine Kalorien enthält, dann wird plötzlich alles gesüßt, vom Müsli über das Joghurt, den Kaffee, die Salat- und sogar die Tomatensauce. Wenn aber alles gleich „süß“ schmeckt, dann verlieren wir nach und nach unseren Geschmackssinn und können die Qualität der Nahrungsmittel am Geschmack gar nicht mehr unterscheiden- was aber sehr wichtig wäre. Wer einen schlechten Geschmackssinn hat, dem kann man sehr leicht mindere Qualität andrehen. Wir sind dann wirklich selber schuld, wenn wir das kaufen, was uns die Industrie andrehen will.

Das andere Argument, das ich oft für Zuckerersatzstoffe höre, ist die Tatsache, dass sonst der Kaffee nicht schmeckt oder das Joghurt mit Früchten und man es eben nur für diese Kleinigkeit verwendet, weil man eben nicht jeden Tag Zucker essen möchte. Das mag okay sein, aber mein Ansatz wäre da ein anderer, auch wenn das vielen vielleicht zu extrem ist: Wenn der Kaffee ohne Zucker nicht schmeckt, dann wollte der Körper wahrscheinlich keinen Kaffee, sondern eben etwas Süßes – und dann gilt es das zu hinterfragen und dieses Problem zu lösen. Steckt Heißhunger dahinter? War der Abstand zwischen den Mahlzeiten zu groß? Fehlt Eiweiß? Etc. Anstatt weiter Kaffee mit Stevia zu trinken. Wenn das Joghurt mit Früchten ohne zusätzliches Süßen nicht schmeckt, dann war entweder das Obst nicht reif genug und dann sollte man die Qualität hinterfragen oder man ist schon so stark auf „süß“ gepolt, dass man einfaches Obst mit einem Naturjoghurt gar nicht mehr richtig schmecken kann – da gilt es dann, die Geschmacksnerven besser zu schulen.

Stevia wird gerne die Eigenschaft „gesund“ beigefügt, stimmt das?

Sasha Walleczek: Das hängt immer davon ab, wie man „gesund“ definiert. Wenn „gesund“ heißt, dass mich etwas nicht schädigt, dann ist Stevia nach dem, was man heute darüber weiß, ziemlich sicher gesund. Für mich bedeutet „gesund“ aber, dass ein Lebensmittel ein Beitrag für meinen Körper ist, dass es mich ein bisschen fitter und vitaler zurück lässt, als ich es vorher war. Nach dieser Definition wäre eine Semmel z. B. ungesund, weil sie kein besonders positiver Beitrag wäre. Ist eine Semmel schädlich? Ganz sicher nicht. Soll man sie nie essen? Auch nicht! Aber eine Semmel ist etwas für ein besonderes Frühstück, eine Ausnahme, einen Feiertag – und dann sollte man sie mit vollstem Genuss essen. Sie ist aber kein Frühstück für jeden Tag. Nach dieser Definition ist Stevia dann auch nicht gesund – weil es kein positiver Beitrag ist.

Wird Stevia künftig Zucker ersetzen?

Sasha Walleczek: Das kann ich mir nicht vorstellen. Hoffentlich nicht!

Danke für das Interview.

Sasha Walleczek ist diplomierte Ernährungstherapeutin und hat von 2006 bis 2008 im österreichischen Sender ATV in einer eigenen Hauptabendserie rund 100 Kandidaten auf ihrem Weg zum persönlichen Wunschgewicht verholfen. Und das in Form der „Wallezek-Methode, ohne Diät zum Wunschgewicht“.

Foto (1): NMI Portal, Foto (2): Julia Grandegger

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