Fleisch mit Gesicht

Fleisch mit Gesicht: weggeworfenes Fleischüber_Land stellte im Vorjahr die bemerkenswerte Aktion „Teller statt Tonne“ vor, die gegen Lebensmittel- verschwendung auftritt. Dass bei uns zuviele Lebensmittel „Im Müll statt auf dem Teller“ landen ist traurige Realität. Bis 2025 soll der Anteil von Nahrungsmitteln, die in der EU auf dem Müll landen, halbiert werden.
Dieses von EU-Parlamentariern eingeforderte Ziel soll u. a. mit aufrüttelnden Kampagnen begleitet werden, um auf die Verschwendung aufmerksam zu machen und in der Folge zu reduzieren.
Von den 20 Millionen Tonnen Lebensmitteln,

die allein in Deutschland weggeworfen werden, ist der Fleisch-Anteil darunter beträchtlich. Der deutsche Konsument wirft rund ein Viertel seines Fleischeinkaufs in den Müll. Von den 61,1 Kilogramm Fleisch im Jahr werden nur 44,2 Kg gegessen, der Rest wird weggeworfen. Durch dieses negative Konsumverhalten wird nicht nur wertvolles Fleisch beseitigt, sondern in weiterer Folge auch Agrarflächen und Futtermittel verschwendet, denn weniger Fleisch bedeutet auch weniger Anbaufläche und weniger Futterbedarf. Bioland kommt sogar zum Schluss, dass durch den bewussten Einkauf von Fleisch in Deutschland rund 4 Millionen Hektar Agrarfläche für den Biolandbau mobilisiert werden könnte, eine Verfünffachung des Status quo von ca. 1 Million Hektar.

Für ein neues „Bewusstsein“

Fleisch mit Gesicht: die Schweine von meine kleine FarmBevor es soweit ist, muss ein Bewusstsein dafür geschärft werden. Fleisch ist kostbar, kommt von Tieren, die ein Gesicht haben. Unkonventionell verfolgt meine kleine Farm diesen Weg und gibt Fleisch dieses Gesicht zurück. Auf ihrem Internet-Auftritt erfahren die Leserinnern und Leser vieles über das Leben der Freilandschweine von Biobauer Bernd Schulz aus Berlin. Da ist z. B. die Geschichte von Schwein 1 zu lesen, das am 18. November geschlachtet wurde. Seine Produkte sind im dazugehörigen Web-Shop zu kaufen, die Aufkleber der Gläser sind mit einem Foto von Schwein 1 versehen.
Die große Frage dabei ist für Dennis Buchmann, dem Initiator dieses Projektes, ob sich das Bewusstsein der Konsumenten ändert. Regt Fleisch mit Gesicht Fleischesser zum Denken an? Und lässt sich so die dahinter liegende Botschaft „Weniger Fleisch. Mehr Respekt“ verbreiten?
überLand sprach mit Dennis Buchmann.

„Kein Grundrecht auf Billigfleisch“

Warum hast Du meinekleineFarm ins Leben gerufen?
Dennis Buchmann: Ich studiere Master of Public Policy an der Humboldt Viadrina School of Governance in Berlin. Alle Studenten müssen ein Projekt mit politischem Anliegen haben. Meins ist: Die Leute sollen weniger Fleisch aber dafür besseres aus artgerechter Haltung essen. So werden Ressourcen geschont weil hoher Fleischkonsum viel Flächen und Wasser verbraucht. Das Ganze ist sehr energieaufwändig… ich hab mir dann meine kleine Farm als Projekt überlegt.

Warum ist weniger Fleisch essen ein politisches Thema?
Dennis Buchmann: Bei Politik geht es, allgemein gesprochen, um die Verteilung von Gütern, auch Gemeingütern. Eine lebensfähige Umwelt ist eins der wichtigsten Gemeingüter, doch die Fleischproduktion verbraucht viel Energie, Wasser und Fläche für den Futteranbau. Durch einen hohen Fleischkonsum wird nicht nur mehr CO2 produziert, sondern die Umwelt durch Rodungen und hohen Wasserverbrauch belastet. Ressourcen werden strapaziert. Deshalb ist es durchaus politisch, den Schutz der Umwelt über reduzierten Fleischkonsum anzugehen.

Welchen Stellenwert nehmen Lebensmittel bei Dir ein?
Dennis Buchmann: Lebensmittel nehmen bei mir einen praktikablen Stellenwert ein. Ich ernähre mich bewusst, aber bezahlbar. Ab und zu esse ich auch mal beim Imbiss, aber auch Obst, Salat, Müsli, etc. Die Mischung macht´s. Fleisch ist für mich im Wert gestiegen, die Bewusstseinsbildung von MeinekleineFarm.org ist bei mir voll eingeschlagen, ich beschäftige mich ja auch andauernd mit dem Thema. Ziel ist, dass andere sich zumindest ein wenig damit beschäftigen, so, dass es nicht anstrengend wird, sondern vielleicht sogar Spaß macht.

Glaubst Du, dass wir uns gesellschaftlich zu einem qualitätsvollen Konsum hin entwickeln oder wird sich das künftig nur ein kleiner Teil der Bevölkerung leisten können?
Dennis Buchmann: Der Trend zu qualitätsvollem, regionalem Konsum ist unverkennbar. aber die Herausforderung ist gerade, die sozial schwächeren zu erreichen. Jeder kann sich teureres Fleisch leisten, man muss nur weniger davon essen. Und wenn die Wertschätzung hoch genug ist, kann man auch als Geringverdiener mehr Geld für Fleisch ausgeben es aber seltener essen. Es gibt kein Grundrecht auf Billigfleisch. Ich versuche später, über Schulschweine Klassen zu erreichen: Klassen kaufen ein Ferkel und lernen am Schwein per Webcam und Ausflügen, was hinter dem Schnitzel steckt, das sie dann auch geliefert bekommen.

Geliefert wird ein Fleisch mit Gesicht. Regt dieses Fleisch Fleischesser tatsächlich zum Denken an?
Dennis Buchmann: Auf jeden Fall. Einige Kunden haben mir schon davon berichtet, etwa Freed: „hab mir heute schon wegen dir die gute biowurst gekauft. kann nich mehr so supermarktfleisch kaufen. und du bist schuld.“ schrieb er mir. Andere erzählen auch von den Aha-Momenten, wenn sie ihrer Wurst in die Augen gucken. Das ist ja gerade das, was ich bewirken will: Dass Menschen ein wenig nachdenken beim Fleischkonsum. Nicht völlig gedankenlos einfach runterschlucken. Fleisch hat ein wenig Wertschätzung verdient.

Isst Du noch Fleisch?
Dennis Buchmann: Ja, aber nur Fleisch mit Gesicht, und das gibt es nicht so oft…

Danke für das Interview.

Photo (1): Photocase/Nurmalso
Photos (2+3): www.meinekleinefarm.org; Schwein 1

über_Land

Der Blog über_Land beschäftigt sich mit innovativer Landwirtschaft in der Stadt und auf dem Land. Themen wie Urban Farming, Vertical Farming, Aquaponic stehen genauso im Vordergrund. Der Blog geht aber auch der Frage nach, wie Gemeinden für ihre Bewohnerinnen und Bewohner neue, qualitätsvolle Konzepte entwickeln, wo Wohnen, Leben und Arbeiten möglich wird. Der Blog ist seit 2011 online. Gründerin und Herausgeberin ist Barbara Kanzian. Erfahren Sie mehr über sie auf ihrer Unternehmens-Website.

5 Gedanken zu „Fleisch mit Gesicht

  • 26. Januar 2012 um 08:10 Uhr
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    Ein sehr notwendiges aber auch mutiges Projekt. Es trifft genau den Kern der Sache, nicht umsonst heißt es ja Fleisch, Schinken oder Wurst und nicht Tier essen. Es wird ausgeblendet was auf den Teller kommt. Bei mir führten die „Gesichter”, die ich den ganzen Sommer auf der Weide hinter dem Haus beobachten darf, allerdings dazu, daß ich gar keine Tiere mehr esse.

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    • 26. Januar 2012 um 11:45 Uhr
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      wie man mit den Gesichtern dann umgeht, ist wieder eine andere Sache; Hauptsache sie werden aus der Anonymität geholt wie bei diesem Projekt. Und ein Nachdenken beginnt.

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  • 26. Januar 2012 um 09:51 Uhr
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    Hallo !

    Meine Freundin ist selbst Vegetarierin. Seitdem ich mit ihr zusammen bin, esse ich deutlich bewusster Fleisch. Weniger ja und daher auch qualitativ hochwertiger.
    Gerade das bewusster essen ist mir – mittlerweile – wichtig.

    Steph verstehe ich da natürlich auch. Wer würde etwas essen, das er selbst jeden Tag sieht. Ich hätte damit auch meine Probleme.

    Das Projekt ist sehr gut. Eine gute Idee aus Marketing Sicht und meiner Meinung nach auch viel Potential vorhanden um eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Ob es in der Größe sich durchsetzt ist unwahrscheinlich, aber wünschenswert!

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    • 26. Januar 2012 um 11:30 Uhr
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      das ist genau die Frage, ob es wirklich in die Breite gehen kann. Auf der anderen Seite hat Dennis vor, Projekte mit Schulklassen zu machen; das ist wiederum eine andere Zielgruppe und hat sicher viel Potenzial.

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  • 27. Januar 2012 um 08:14 Uhr
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    Langfristig gesehen hat es mehr als genug Potential, das stimmt 🙂

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